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Russland will, kann aber ein Rechtstaat nicht werden

Russland will, kann aber ein Rechtstaat nicht werden

20.06.2012 — Analyse


Russland ändert im September 2012 sein Zivilrecht. Der Kreml hat an die Staatsduma eine neue Fassung des Zivilkodex zur Prüfung übergeben. Im Parlament aber hat der Standpunkt der Vertreter des angelsächsischen Gesetzgebungsmodells mit dem Standpunkt der Anhänger des kontinentaleuropäischen Modells kollidiert, was anderthalbtausend Abänderungen zur Folge hatte. Der Korrespondent der "RusBusinessNews" fand heraus, dass die Russischen Oligarchen, die für ein freies Unternehmertum wie im westlichen Recht und die Haftungslosigkeit - wie dies in der russischen Rechtspraxis der Fall ist - lobbieren, aller Voraussicht nach als Sieger aus der Konfrontation hervorgehen.

In seinem Kommentar zur Reform des Zivilrechts teilte der Rechtsberater des russischen Präsidenten Veniamin Jakowlew den Teilnehmern des Europäisch-Asiatischen Rechtskongresses in Jekaterinburg mit, dass die Initiatoren der Reform beabsichtigen, dadurch die Stabilität in den Geschäftsverkehr reinzubringen, das Privateigentum gegen Firmenjäger zu schützen und das Recht an die wirtschaftlichen Realien anzupassen.

Aus Sicht des Herrn V. Jakowlew ist die Wirtschaft nicht mehr ein Rechtsbegriff. In den letzen Jahrzehnten hat die Welt einen bedeutenden Fortschritt im Bereich der finanziellen Dienstleistungen erreicht. Diese Branche ist unabhängig und selbstständig geworden, anstatt einen Realsektor der Wirtschaft zu bedienen. Außerdem stimmt diese Branche den Ton in der Wirtschaft an und fügt sogar der Industrie viele Übel zu. Es ist im Grunde genommen der Schwanz, der mit dem Hund wedelt, und die Jurisprudenz ist nicht dazu bereit, den Widerstand zu leisten.

Der Rechtsberater des russischen Präsidenten ist der Meinung, dass die Weltöffentlichkeit ihre Kräfte bündeln und den Rückstand des Rechts gegenüber der Wirtschaft deutlich kürzen muss. Im Rahmen eines Landes ist das praktisch unmöglich: die Krise von 2008 hat gezeigt, dass es völlig irreal ist, die Inlandsmärkte gegen Spekulanten infolge einer Überinterdependenz von Wirtschaften der Welt abzusichern. Aus diesem Grund haben die russischen Juristen allen interessierten Ländern Vorschläge zur Harmonisierung der Zivilgesetzgebungen gemacht. Wenn dies nicht gemacht wird, geht der Domino-Effekt weiter: wenn es jemandem schlecht geht, haben alle gemeinsam die Probleme.

Das ist gar nicht so einfach, die Gesetze zu harmonisieren. Traditionell spricht man weltweit von einem angelsächsischen und einem kontinentaleuropäischem Modell der Gesetzgebung. Das erste ist mehr flexibel und erlaubt dem Business alles, was nicht verboten ist. Das System setzt zwar eine sehr strenge Haftung für die Benachteiligung der Geschäftspartner und Verletzung der allgemeinen Normen voraus. Die Entscheidung darüber, wer die Norm verletzt hat und wer nicht, trifft der Richter, der die Angemessenheit einer Rechtsnorm in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Verhältnissen beurteilen kann. Das kontinentaleuropäische Modell formuliert sehr ausführlich die Rechte und Pflichten der Marktteilnehmer und legt geschäftliche Vorgänge fest, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Es gibt in Russland Anhänger der beiden Modelle, für die es nicht ganz so leicht ist, zum einem Übereinkommen zu gelangen.

Veniamin Jakowlew ist darum besorgt, dass das russische Zivilgesetzbuch durch die Mischung aus Elementen der kontinentaleuropäischen und angelsächsischen Modelle zu einer Patchwork-Bettdecke gemacht wird. Die Überlappung der ausländischen Rechtspraxis mit der russischen Mentalität könne die Stabilität des Geschäftsverkehrs total untergraben. Bronislav Gongalo, Leiter des Lehrstuhls für Zivilverfahrensrecht der Staatlichen Juristischen Akademie des Ural, macht sich Sorgen darüber, dass in der Gesetzesvorlage solche Begriffe wie Sorgfalt und Leichtsinnigkeit der Beteiligten an zivilrechtlichen Verhältnissen definiert werden. Man kann ohne diese Bewertungskriterien nicht auskommen, aber ihre Anwendung sei unter Korruption in Russland eine ganz gefährliche Sache. Herr B. Gongalo hat zu befürchten, dass ein ungeschickter Richter, der sich in Schranken des angelsächsischen Modells halten muss, vieles mit dem ihm anvertrauten Richtschwert "zerbröckeln" kann.

Alexej Tomofejew, Vorstandsvorsitzender der Nationalen Assoziation der Teilnehmer des Effektenmarktes, teilt die Bedenken seiner Kollegen nicht. Nach seinen Worten erfolgt kein Eindringen des angelsächsischen Modells nach Russland. Nicht flexible, zu detaillierte gesetzliche Regelungen schaffen dem Geschäft viele Schranken: es ist unmöglich, eigene Rechte im Fall, der durch Gesetze konkret nicht beschrieben wird, wahrzunehmen. Das russische Rechtsmodell hat wie früher einen Konzessionscharakter. Der Experte verbindet die Sache damit, dass der Gesetzgeber kein Vertrauen in die fachliche Kompetenz und das gute Glauben der Richterschaft hat und daher die Kontrolle künftiger Vorgänge regelt, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Damit verzögern sich alle geschäftlichen Prozesse im Lande, und die Investoren wagen sich nicht, das Kapital in Russland anzulegen.

Die Angst vor Gerechtigkeit ist das größte Problem des Russischen Rechts. Wenn die Russen nicht lernen, der Frau mit einem Tuch um die Augen zu vertrauen, so A. Timofejew, können sie sich kein flexibles System der Rechtsverhältnisse, das alle fünfzehn Jahre umgeschrieben werden muss, schaffen. Nach Meinung des Experten kommt Russland früher oder später an das angelsächsische Gesetzgebungsmodell an, weil die Praxis zeigt, dass diejenigen Länder die wirtschaftliche Blüte erleben, die sich auf dieses System stützen.

Aber wie sich der Berichterstatter der "RusBusinessNews" vergewissert hat, wird das Auslandsrecht einen Schnickelweg nach Russland gehen. Nach den Worten des Herrn V. Jakowlew lobbiert zur Zeit eine Gruppe von Großindustriellen für eine Reihe von Abänderungen, womit der Handlungsspielraum der Teilnehmer zivilrechtlicher Verhältnisse erweitert wird, aber wodurch die für das angelsächsische Gesetzgebungsmodell kennzeichnende richterliche Prüfung nicht vorgesehen wird. Viele der Oligarchen fürchten sich davor, dass eine Katastererfassung der Grundstücke eingeführt wird, dass das Verzeichnis der dinglichen Rechte erweitert wird (Gattungsschuldverhältnisse) sowie dass die Geschäfte, bei denen mindestens eine Partei Bürger ist, von einem Notar beurkundet werden müssen. Man spricht darüber, dass der "Überfall von Notaren" und die Erfassung von Grundstücken der Entwicklung der russischen Wirtschaft einen "Schlag" versetzen können.

Es ist für die Experten offensichtlich, dass sich hinter dem fokussierten Interesse der russischen Industriellen am Recht ein eigennütziges Motiv verbirgt: sie brauchen nicht ihre wirtschaftlichen Verhältnisse vollständig transparent zu machen. Schon heute, behauptet Veniamin Jakowlew, wird der Begriff der juristischen Person in Russland von einer tiefgreifenden Krise befallen, sofern der größte Anteil der Einkünfte durch sogenannte Ein-Tages-Firmen, die für bestimmte Transaktionen gegründet werden, fliesst. Das wird durch latente korporative Vereinbarungen erreicht, welche die Groβindustriellen versuchen zu legalisieren. Das angelsächsische Gesetzgebungsmodell passt ihnen, solange dieses System keine strenge richterliche Prüfung vorsieht. Deshalb kreuzen sie mit großer Begeisterung "einen Ringelnatter mit einem Igel", indem sie das Wesen des Auslandsrechts aushöhlen.

Bronislav Gongalo schließt es nicht aus, dass die durch die Industriellen vorgenommenen Abänderungen trotzdem angenommen werden: da steckt so viel Geld dahinter, von dem ein Teil für "Modernisierung" des derzeitigen Rechtsbestands verbraucht wird. In der Regel aber keiner lobbiert für Interessen der einfachen Menschen, zu denen die breite Masse des russischen Volkes gehört.

Wladimir Terletskij

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