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Die Uraler Städte fallen aus dem hartgefrorenen Machtvertikal heraus

 Die Uraler Städte fallen aus dem hartgefrorenen Machtvertikal heraus

09.02.2010 — Analyse


Viele Monostädte im Ural haben keine Perspektiven. Die Experten behaupten, die von der russischen Regierung zur Diversifizierung der Wirtschaft dieser Ortschaften erbrachten Geldmittel seien zu jämmerlich und können die Situation kaum ändern, denn in Russland müsse man vor allem in Menschen investieren. Wie der Kommentator von RusBusinessNews herausfand, sei die Bildung einer intelligenten, freien und mobilen Nation in einem "eingefrorenen" Staat, zu dessen Anhänger die Leitung der russischen Regierung zählt, unmöglich. 

Der Ausschuss für Innovationsentwicklung des Swerdlowsker Verbandes der Industriellen und Unternehmer schätzte die Wettbewerbsfähigkeit der Monostädte im Ural ein. Die Situation in vielen von ihnen, die erst gestern noch erfolgreich waren, bleibt sehr spannend. Laut Sergej Choronko, stellv. Bürgermeister der Stadt Krasnoturjinsk, sei die Produktion in Betrieben um 20 bis 40 Prozent gesunken, während die Arbeitslosigkeit von 1,5 Prozent auf 5,7 Prozent gewachsen sei. Die Anzahl der entlassenen Mitarbeiter könne weiter steigen: Die Rohstoffbasis des Bogoslowsker Bergwerks gehe zu Ende, der Eigentümer des Unternehmens habe für die Tiefenerschließung von Rohstoffen kein Geld. Die Exploration solle man Sergej Choronko zufolge bis 2013 ausführen, sonst könne das Werk eingestellt werden.

Rais Garifulin, Geschäftsführer des Reparaturwerks für Bergbautechnik in Katschkanar OAO Metallist, sagt, dass das Unternehmen mit der Auftragsreduzierung um 50 Prozent auch die Möglichkeit verloren habe, die Geldmittel in die Modernisierung der Produktion zu investieren. Es sei auch kompliziert geworden, die Fachleute an das Werk zu binden: Dem Geschäftsführer von Metallist zufolge könne man es auch mit der Unterhaltungsindustrie, die das Werk in der Stadt fördere, nicht schaffen. Der Geschäftsführer kann seine Mitarbeiter mit keinen anderen Mitteln anlocken, denn er versteht selbst nicht, wie sich die Produktion weiter entwickeln wird. Die Bedingungen für Geschäfte werden in Russland immer komplizierter: Die Rohstoffpreise (Metallschrott) sind im letzten Monat von 6.500 auf 10.000 Rubel pro Tonne gewachsen, die Stromenergie wurde gegenüber 2006 um 80 Prozent teurer.

Anatolij Syssojew, stellv. Vorsitzender des Swerdlowsker Verbandes der Industriellen und Unternehmer, nennt die Politik der russischen Regierung zur Erhöhung der Energiepreise während der Wirtschaftskrise aufrichtig dumm. Man könne Strom und Gas schon einsparen, aber heute sei das wohl nicht das wichtigste Problem der russischen Industrie. Die Russen haben die neuen Werke prinzipiell anders zu bauen. Im Westen arbeiten in einem Werk, das 250.000 t Aluminium herstellt, in der Regel 500 Personen, die in einer kleinen Stadt mit 3.000 Einwohnern leben. In Russland braucht man für die Arbeit einer gleich großen Produktion eine Stadt mit 50.000 Einwohnern. Der Unterschied lässt sich durch verschiedene Arbeitsorganisation erklären: Die meisten Operationen zur Bedienung der Produktion werden outgesourcet. Die Eigentümer der russischen Werke haben Angst, die Arbeiten fremdzuvergeben, denn es können die Vertragsverpflichtungen verletzt werden. Im Endergebnis muss der russische Staat wegen der Produktionsreduzierung oder Werkschließung mehr Leute übersiedeln lassen als die Regierungen von entwickelten Ländern.

Die Unverbindlichkeit und Fahrlässigkeit der Russen als Geschäftspartner ist ein sehr ernstes Problem, und gerade es wirkt oft negativ auf die wirtschaftlichen Kennzahlen der Unternehmen. Anatolij Syssojew betont, die Geschäftsführer von Werken bestellen oft Produkte, ohne Logistik zu berücksichtigen. Dies sei, so der Experte, eher auf den persönlichen Vorteil der Geschäftsführung zurückzuführen - in Russland heißt diese Erscheinung "Cashback", d. h. einen Teil der Erlöse des Zulieferers legt der Geschäftsführer des Auftraggeberbetriebes einfach sich in die Tasche. Einige Unternehmer schlagen bereis seit langem vor, diese Art der Betrügerei der Korruption gleichzustellen, weil die "Cashbacks" die Wettbewerbsunfähigkeit der russischen Industrie nur verstärken. 

Die Experten meinen, dass die Probleme der Monostädte in einer paternalistischen Gesellschaft nur verschärft werden. Man müsse die Leute, so Anatolij Syssojew, denken lassen und bei ihnen das Verantwortlichkeitsgefühl für ihren Betrieb, für ihren Wohnort fördern. Nur mit reinen Worten gehe es nicht: Den Einwohnern der Monostädte müsse man die Grundstücke zur Verfügung stellen und beim Bau der eigenen Häuser helfen, sagt der Experte. Die Weltanschauung der Leute, die ihr eigenes Stück besitzen, unterscheide sich prinzipiell von der Psychologie der Proletarier.

Die Tätigkeit der Munizipalbehörden trägt allerdings zur Bildung der Eigentümerklasse kaum bei. Alexej Garschin, dem ersten stellv. Bürgermeister von Katschkanar, zufolge bilde sich der städtische Haushalt nur aus den Grund- und Einkommenssteuern. Niemand wird natürlich an die Bürger die Grundstücke umsonst vergeben. Die Grundsteuern werden außerdem regelmäßig gesteigert, dadurch wird das gesamte Geschäftsklima in der jeweiligen Stadt und im Lande insgesamt noch verschlechtert.

Das Fehlen der Haushaltsmittel macht die Entwicklung der Projekte zur Förderung der Kleinunternehmen sinnlos. Wladimir Woronow, stellv. Bürgermeister der Stadt Kamensk-Uralskij, teilte mit, dass die Stadtverwaltung die Gründung von 112 Business-Projekten im Wert von 80 Mio. Rubel initiiert habe, ihre Finanzierungsquellen seien aber unbekannt oder fehlen einfach. Keiner der Bürgermeister mache sich Illusionen, dafür Geld aus dem föderalen Haushalt zu bekommen. Laut Ewgenij Animiza, Professor an der Uraler Wirtschaftsuniversität, könne sich der Kampf der russischen Monostädte um 10 Mrd. Rubel, die die föderale Regierung für ihre Rettung zur Verfügung stelle, in eine prosaische Schlägerei mit der alten Waffe wie "Cashback" verwandeln.

Das Absterben der Monostädte verbinden die Experten mit der Erschöpfung der Vorkommen, die noch zur Zeit des Zaren Peter des Ersten, der ein großer Reformator war, erschlossen wurden. Das Schicksal von vielen städtebildenden Unternehmen ist schon heute klar. Das Problem der Monostädte wird man jedoch weder bis 2015 noch bis 2010 lösen können: In den entwickelten Ländern brauchte man dafür einige Jahrzehnte und hohe Investitionen. In Russland hat man so viel Geldmittel nicht, der Staat plant offensichtlich den Gemeinden keine finanzielle Selbständigkeit anzubieten. Es wurde allerdings nie erklärt, dass die zentralisierte Steuerstruktur und die Ideologie des vertikal integrierten Staates nun korrigiert werden.

Wegen der schwierigen Lage, in die Russland geraten sei, könne man nach der Meinung von Michail Fjodorow, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Innovationsentwicklung des Swerdlowsker Verbandes der Industriellen und Unternehmer, nicht darüber sprechen, dass morgen alles wieder gut gehen werde. Das Land mit einer "eingefrorenen" Gesellschaft und einem arbeitsunfähigen "Machtvertikal" kann auf die Herausforderungen der Zeit nicht reagieren.

Wladimir Terlezkij

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