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Evraz beschwert die Kultur mit einem Philosophenstein17.12.2010 — Analyse Die russische Staatsanwaltschaft wirft der Evraz Group unbefriedigende Arbeitsorganisation vor, die zu Todesfällen des eigenen Personals führt. Die russische Technologieaufsichtsbehörde stellte fest, dass auch in vielen anderen Unternehmen des Bergbausektors eine Produktionskontrolle fehlt und bestätigte damit den Zusammenhang zwischen Produktionskultur und Verletzungen am Arbeitsplatz. Die Experten versicherten dem Korrespondenten der "RusBusinessNews", dass es Russland nicht gelingen wird, einen Durchbruch bei den Innovationen zu erzielen, solange die Unternehmenszechen Erinnerungen an die schmutzigen Werkstätten aus der Zeit Ludwigs XIII. hervorrufen. Im November 2010 kam es in der Offenen Aktionärsgesellschaft "Metallkombinat Nižnij Tagil " (NTMK), die der Evraz Group gehört, zu einer Explosion, die zu einem Todesfall führte und durch die drei weitere Mitarbeiter verletzt wurden. Die anschließende Untersuchung stellte eine grobe Verletzung der Arbeitssicherheit fest: Die Mitarbeiter des Unternehmens führten Schweißarbeiten in der Nähe eines Kohlenstaubhaufens durch, wodurch dieser sich entzündete. Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass im NTMK eine Produktionskontrolle in der vorgeschriebenen Art und Weise durchgeführt wird. Gegen die an dieser Tragödie Schuldigen kann ein Verfahren eingeleitet werden. Die Uraler Verwaltung der Russischen Technologieaufsichtsbehörde erklärte, nachdem sie eine Reihe von Unternehmen untersucht hatte, dass die Produktionskontrolle im Bergbausektor rein formell durchgeführt wird und Besonderheiten der Unternehmenstätigkeit in keinster Weise berücksichtigt. Die Manager, die für eben diese Kontrolle verantwortlich sind, haben keinen Kontakt zu den Spezialisten, die mit der Technologieaufsicht in der Produktion beauftragt sind. Zwischen ihnen sind nicht einmal Rechte und Pflichten festgelegt und die bestehenden Instruktionen sind schon lange veraltet. Muss man sich danach noch wundern, dass die Arbeiter im NTMK ohne jeden Hintergedanken damit begannen, die Rinne zu schweißen, auf der die Kohle aufs Fließband gelangt? Die Experten meinen, dass sich eine derartige Arbeitseinstellung aus dem allgemeinen Verständnis ergibt, das die Eigentümer und Manager der Evraz Group von Produktionsmanagement haben. Melik Mori, Exekutivdirektor der Offenen Aktionärsgesellschaft "Pervoural`sker Fabrik für neue Rohre" (PNTZ; gehört zur ČTPZ-Gruppe) bestätigt, dass die Anzahl der Arbeitsverletzungen in ihrem Unternehmen rückläufig ist, seitdem die Eigentümer mit der Rundumerneuerung des PNTZ begonnen hatten. 2009 wurde ein modernes Finish-Center in Betrieb genommen, welches bis zu 6000 Mantelrohre und kompressorbetriebene Pumprohre herstellt, die u. a. auch exportiert werden. Obwohl es in der Zeche Zonen für die Schneidearbeiten und Zonen für die thermische Bearbeitung der Rohre gibt, trifft man dort nicht auf Berge von Metallspänen und Dreck und die Böden sind nicht mit Schmierfett und Rohöl überzogen. Reinheit und Ordnung, so M. Mori, diszipliniert die Mitarbeiter: Sie werfen Arbeitsinstrumente und Zigarettenstummel nicht einfach achtungslos weg, sondern verzichten eine volle Schicht lang ganz auf das Rauchen. Im neuen Stahlschmelzkomplex der Offenen Aktionärsgesellschaft "Pervoural`sker Fabrik für neue Rohre", wo momentan die Abschlussarbeiten vor der Inbetriebnahme durchgeführt werden, werden Raucher gar nicht erst eingestellt. Vor Schichtbeginn werden die Mitarbeiter auf Reste von Alkohol im Blut untersucht. Den Angaben der Presseagentur des Unternehmens nach ist man bei der Auswahl des Personals sehr vorsichtig vorgegangen. Für jeden Arbeitsplatz gab es 20 Kandidaten. Es wurden Leute eingeladen, die 2-3 Spezialisierungen besitzen, zum Teil aus anderen Regionen Russlands. Man achtete nicht nur auf schädliche Angewohnheiten, sondern sogar auf die physische und psychische Gesundheit der zukünftigen Mitarbeiter. Mitarbeitern aus anderen Städten wird eine vorübergehende Wohnung zur Verfügung gestellt, während die PNTZ weiterhin eigene Häuser und Wohnungen baut, in denen die Mitarbeiter zu Vorteilsmieten wohnen können. Vor kurzem traf man die Entscheidung, einen eigenen Wohnkomplex zu errichten, um die besten Mitarbeiter aus dem ganzen Land anlocken zu können: mit Läden, einem kleinen Kindergarten usw. Ins Unternehmen wurden Designer eingeladen, die das Aussehen der Produktionshallen und des Firmengeländes änderten. Auch in den Verwaltungsgebäuden wurden Veränderungen vorgenommen: Dort wurden sogar Saunen eröffnet. Selbstverständlich wissen die Mitarbeiter den Zuwachs an Produktionskultur zu schätzen: Nach vier Auswahlverfahren hat sich im Stahlschmelzkomplex eine professionelle und disziplinierte Arbeiterschaft herausgebildet, von der die Hälfte über einen Universitätsabschluss verfügt. In der Industrie gibt es keine unwesentlichen Kleinigkeiten, wie die Experten bestätigen. So schenkt etwa die Offene Aktionärsgesellschaft "Uraler Optisch-Mechanische Fabrik" (UOMZ) aus Jekaterinburg der baulichen Gestaltung des Firmengeländes besondere Achtung. 30 Angestellte sind mit dem Pflanzen des Rasens und der Blumenzucht betraut, was nach Meinung einiger Fabrikleiter einen unerhörten Luxus in Krisenzeiten darstellt. Vasilij Rassochin, der erste Stellvertreter des Generaldirektors der UOMZ, vertritt eine andere Meinung: Das Unternehmensimage wird zunächst auf dem Firmengelände gebildet. Ein charakteristisches Beispiel: Nach starkem Schneefall an einem der Sonntage versank Jekaterinburg im Schnee, weshalb die Mitarbeiter des UOMZ am Montag kaum zur Arbeit gelangen konnten. Auf dem Firmengelände jedoch erwarteten sie vorbildlich geräumte Straßen und Gehwege. Genau aus solchen Kleinigkeiten setzt sich die Produktionskultur schließlich zusammen. Aleksandr Petrov, Industrie- und Wissenschaftsminister der Region Sverdlovsk, vermutet, dass Ordnung und Sauberkeit die Menschen nicht nur diszipliniert, sondern bei diesen auch eine neue Mentalität formt, die es erlaubt, qualitativ hochwertige Güter zu produzieren und auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein. Seiner Meinung nach ist es unmöglich, ohne Technologiekultur hochtechnologische Güter herzustellen, aber die Unternehmen der Region haben auf diesem Gebiet noch keine befriedigenden Fortschritte erzielt. Aleksandr Starikov, Rektor der Staatlichen Uraler Architektur- und Kunstakademie, bestätigt, dass man in Russland mit dem Begriff Produktionskultur noch zu wenig anfangen kann und dass demzufolge nur wenig in diese investiert wird. Seinen Angaben zufolge macht der Marktanteil der Industriekultur 0,2% des BIP aus (29 Milliarden US-$), in der Russischen Föderation 0,01% (0,1 Milliarden US-$). Die russischen Unternehmer verstehen den Kulturbegriff allzu eigentümlich: 71% der Mittel werden in Kommunikation investiert, 33% in Verpackungsmaterial und nur 18% ins Ingenieursdesign. A. Starikov meint, Produktionskultur müsse allumfassend verstanden werden, weshalb man sowohl der Verpackung als auch dem Marketing, der Architektur, dem Personal und der technischen Kultur dieselbe Beachtung schenken sollte. Der Meinung des Rektors der Staatlichen Uraler Architektur- und Kunstakademie zufolge wird es den Unternehmen bei der gegenwärtigen Berücksichtigung von Ingenieursdesign und Marketing nicht gelingen, eine innovative Produktpalette zu erstellen. Diese Aufgabe nämlich hob der russische Präsident Dmitrij Medvedev hervor, wenn auch bislang nur im Zusammenhang mit staatlichen Unternehmen. Die Experten bestätigen, dass es in der russischen Industrie nur sehr wenige Designer gibt. Da sie in ihrem eigenen Vaterland nicht gefragt sind, fahren sie ins Ausland. Die Absolventen der Uraler Architekturakademie etwa arbeiten im Unternehmen Toyota, welches 4% der Verkaufsumsätze in Forschung, Entwicklung und Design investiert. In den weit entwickelten Ländern wurde bereits vor geraumer Zeit der Zusammenhang zwischen der Kreativität der Ingenieure und den Investitionen im Kulturbereich festgestellt, durch die sich die künftigen Designer und Konstrukteure herausbilden. In Russland gilt die Unterstützung der sogenannten "Bohème" als nicht lukrativ und in gewisser Weise belastend. So lehnte es z. B. das Metallkombinat Nižnij Tagil im September 2010 ab, die Jazzgruppe "NTMK-Big-Band" zu finanzieren, die 1991 im Namen des Unternehmens gegründet wurde. Diese hatte unmittelbar mit der Herausbildung einer allgemeinen Kultur unter den Metallarbeitern zu tun, die Unternehmensleitung jedoch vertrat die Meinung, Metallarbeit und Jazz seien miteinander unvereinbar. Offensichtich verfügen die Manager der Evraz Group über einen eigenen Philosophenstein, mit dessen Hilfe sie die Mentalität des Personals ändern möchten. Dabei haben sie viel Arbeit vor sich: Wie die Philosophen zu sagen pflegen, ist Kultur in erster Linie die Herausarbeitung eines eigenen Ich. Vladimir Terlezkij |
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